Monday, May 31, 2010

Der Fahrmann von Haunreut

oder "Der grosse Sterb von Tann"

Vor langen, langen Zeiten, - so bringt's die grause Mar- da rief es uber'n Innstrom bei Stammham schaurig her. Es rief mit hohler Stimme dem kecken Fahrmann zu: "Fahr mich hinuber, Schiffer!" So rief es ohne Ruh.

Der Forge sonst so mutig und gierig nach Gewinn, warum will er denn heute nicht durch die Fluten hin? Doch endlich lasst sein Schifflein der Schiffer zaudernd los und wirft sich voll Gedanken in seinen trauten Schoss. Und rudert voll Erwartung und mit gewandter Faust hin durch die wilde Brandung, die grimmig ihn umbraust. Und als er es besieget das flutende Gewirr, da steht er wie versteinert vor seinem Passagier. Es lauft ihm uber'n Ruchen so eisig und so kalt und schnuret ihm die Seele mit brennender Gewalt.

Und ob der Schauder zucket ihm auch durch Mark und Bein, so ruft er doch erzwungen: "In Gottes Nam', steigt ein!" Und langsam ernsten Schrittes bewegt sich die Gestalt auf deren hohlen Wangen sich die Verwustung malt. Sie schiesst aus dunklen Augen ein graulich Blitzepaar auf den entsetzten Fahrmann und reicht die Hand ihm dar. Und schauerlich umhullet ein Mantel blutigrot den grasslichen Gefahrten im kleinen Schifferboot. Der Forge taucht und rudert mit angsterhohtem Fleiss und von der Stirne rieselt ihm kalter Schreckenschweiss. Und unter ihrer Burde und unheimlichen Last da. seufzt die alte Zille und treibt in muder Hast mi Wind und Wogen ringend zum heimatlichen Strand, Wo sie nach manchen Schrecken schon Rast und Ruhe fand Der Schiffer springt an's Ufer, der Schreckensmann ihm nach und luftet seinen Mantel den gransigen gemach. Drauf fragt der Forg verwirret: "Wohin denn, Gottesmann?" Und dieser rufet schaurig: "Ich b in der Tod von Tann". " Ich trage Gottes Rache in diese schonen Gau'n, weil sie so gottvergessen nur auf sich selber bau'n".

"Dreihunderfunfundsechzig, soviel als Tag im Jahr, soviele Menschen werf ich tot in die Totenbahr". Die Fluren werden Graber, die Eltern kinderlos, die Kinder ohne Eltern, der Jammer grenzenlos" Dann hat er eine Kugel aus schwarzem Sack geholt und bot sie seinem Fahrmann und gab sie ihm als Sold. "Trag diese Kugel", sprach er, "am Halse jed-erzeit, dann blebst du von dem Wuten der Seuche wohlbefreit!"

Landeinwarts zog er weiter darauf der Wurgermann und hielt die blut'ge Ernte um Zeilarn und um Tann. Und als das Jahr verstrichen das jammervolle war, da gab's dort soviel Tote als Tag' im ganzen Jahr. Der Forg jedoch durchshiffte noch lan die feuchte Bahn und pflanzte fort die Kunde vom grossen Sterb zu Tann.

Diese Ballade von Bernhard Ostermaier besingt die bekannte Saga vom "Fährmann von Haunreut" und bezieht sich auf die Pest des Jahres 1521. Das Gedicht ist 1857 erstmals im Druck ershienten, in jüngerer Zeit jedoch weitge-hend unbekannt.

In diese Volkssage mag sich die Erfahrung gekleidet haben, daß die Pest damals über den Inn eingeschleppt worden ist. Möglicherweise war es eine pestkranke Person, welche die Fähre bei Haunreut benützte. die Pestfried höfe und die Pesttafeln im Kirchlein zu Gehersdorf und in der Pestkapelle von Hem-pelsberg (Pfarrei Zeilarn) sind noch Zeugen von dem Wüten der Pest. Die Zahl der Opfer war aber erheblich größer, als au der Sage hervorgeht. Eine andere Leseart legt die Sage auch für das Jahr 1648 aus, wo der fürchterliche dreißig-jährige Krieg mit der Pest in unserer Heimat einen grausigen Abschluß fand. Von 1648 bis 1651 erreichte die Pfarrei Zeilarn alleine schon die genannte sym-bolische Zahl von 365 Toten.

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